Wer mit dem Auto schon seit vielen Jahren immer die gleiche Strecke zur Arbeit fährt, der ist in ernster Gefahr - zumindest, wenn man einer Untersuchung der Universität Duisburg-Essen glaubt. Verkehrsforscher haben dort herausgefunden, dass Autofahrer in der Monotonie des Alltags häufig mit dem Gehirn im Stand-by-Modus unterwegs sind. So wird die Routine im Straßenverkehr im Zweifel zur tödlichen Gefahr.
1000 Mal ist Nikolaus Zöller "seine" Strecke gefahren, morgens zur Arbeit und abends wieder nach Hause. Zöller ist ein versierter Autofahrer, Jahr für Jahr fuhr er an die 50.000 Kilometer, und das unfallfrei. Bis zum 3. März 2006, denn an diesem Tag hatte er den ersten Unfall seines Lebens. Er war der Alltagsroutine zum Opfer gefallen. Sachverständige fanden heraus, dass er ungebremst in einen LKW gefahren war. Immerhin hatte der Pendler Glück im Unglück - ohne Airbag hätte er wohl nicht überlebt. Was genau geschehen war, daran erinnerte er sich nicht mehr.
Wie es zu solchen Unfällen ohne ersichtlichen Grund kommt, untersuchen die Verkehrswissenschaftler der Uni Duisburg-Essen. Schließlich geschehen die meisten Unfälle auf Routinestrecken. Ein Verkehrsanalyse-Programm zeigt die Verhaltensmuster auf der Straße. Dabei unterscheiden die Forscher zwischen optimistischem und pessimistischem Fahren. Optimistisch heißt, der Fahrer hat freie Bahn, sein Tempo ist hoch, er fährt offensiv. Diese Fahrweise schlägt um, wenn der Verkehr dichter wird. Der Fahrer reiht sich ein, ist bremsbereit, da er Stops erwartet, pessimistisch eben. Beim optimistischen Fahren dagegen bilden sich "Platoons", Kolonnen von schnellen Fahrzeugen.
André Bresges, Verkehrsforscher, Uni Duisburg-Essen:
"Stellen Sie sich vor, ein so genanntes Platoon, eine Kolonne: Der Vordere fährt in einen Bereich erhöhter Verkehrsdichte, er schaltet um auf pessimistisch, die Folgenden auch. Nur der Letzte kriegt es nicht mit. In unserer Simulation ist das häufig der Dritte oder Vierte, der dann plötzlich einen Unfall hat, wie aus heiterem Himmel, wie er meint. Er ist dann der einzige, der nicht von optimistisch auf pessimistisch umgeschaltet hat."
Ein Kernspin-Tomograph soll erklären helfen, was genau im Gehirn vor sich geht oder auch ausbleibt, wenn solche Unfälle eintreten. Die Aufnahmen zeigen, welche Bereiche im Gehirn aktiv sind, beispielsweise, ob automatisierte Prozesse gesteuert werden, also im Kleinhirn, oder ob bewusste Entscheidungen getroffen werden, also im vorderen Bereich. Der Testpersonen wird dazu im CT ein Film vorgeführt, der eine Verkehrssituation simuliert. Mit einem Joystick fährt sie viele Male dieselbe virtuelle Strecke, als wäre es der tägliche Weg zur Arbeit.
Schalten, Beschleunigen, Bremsen - bei versierten Fahrern ist dabei dasselbe Areal im Gehirn aktiv wie beim Laufen: unbewusste, automatisierte Routineabläufe. Im Auto muss der Fahrer aber aufmerksam sein, Entscheidungen treffen, zum Beispiel rechts oder links Lenken und auf den übrigen Verkehr reagieren. Radiologin und Verkehrswissenschaftler analysieren, welche Areale im Gehirn noch aktiv sind. Die Erkenntnisse sind bestürzend.
André Bresges:
"Bei einer absolut bekannten Strecke, wo keine anderen Reize eintreffen - nachdem, wie wir es jetzt simulieren können - ist das, was den Menschen ausmacht, mit seinem Großhirn, mit den Zentren, bewusst zu analysieren und Entscheidungen zu treffen, kaum aktiv, beängstigend wenig aktiv."
Wie Pendler diese Routine durchbrechen können, soll die nächste Untersuchung zeigen. Nikolaus Zöller hat sich vorgenommen, großzügig Abstand zu halten, andere rechtzeitig per Warnblinker auf mögliche Gefahren aufmerksam zu machen und sich vor Augen zu halten, dass die Strecke jeden Tag ein wenig anders sein kann. Die Routine nämlich birgt die höchste Gefahr.
Quelle: Rasthaus